Kammern des Schreckens

Freitag, 28. März 2014

Erst peitscht er uns ins Gesicht.

João Ricardo Pedro: Wohin der Wind uns weht





Sind diese Erinnerungen Teil dessen, was Duarte ausmacht, oder sind sie beinahe zusammenhanglos, das betreffend, was wir über den hochtalentierten Jungen erfahren? Denn auch wenn er Zeuge ist, selbst wenn er derjenige ist, der erlebt: wie in einem Traum, manchmal fast kompliziert und immer verworren ist der Film im Kopf des Lesers. Es geht um die Widrigkeiten des Lebens, und selbst diese können ein zweites Gesicht haben, voll Schönheit.

Außergewöhnlich und inspirierend!

Ein düsteres Portugal erlebt der Leser in diesem Roman.  Menschen, vom Schicksal und der Zeit gepeinigt. So bleiben sie uns fremd und ihre Gedanken nur schwer nachvollziehbar. Sie sind wie heimsuchende Geister. Die Atmosphäre, die wie durchgängiges Grau mit Regenfall ist, durchgängig beschlagene Sicht, wirkt absichtlich ungemütlich. Wir wollen einfach nicht an der Seite der Figuren sein, mit ihnen leiden, mit ihnen erleben. Wir wollen möglichst das Bewusstsein über den gemütlichen Sessel behalten, in dem wir selbst beim Schmökern sitzen.

Viele Puzzleteile, zwischen denen man irgendwann hoffnungsvoll denkt, eine Verbindung zu finden. Und diese dann hoffnungslos wieder verliert. Man schmunzelt, umso häufiger aber grübelt man, wird erdrückt von Traurigem, Erschreckendem. Mir ergeht es mit diesem Roman ein wenig wie mit meinem Verständnis von Freud: Seine Genialität wie die des Autors sind allgegenwärtig, aber der häufige Fokus auf Sexualtriebe lässt mich trotzdem die Stirn runzeln.

Ich kann mir gut vorstellen, dass zu ausreichendem Verständnis mindestens ein zweites Lesen vorgenommen werden sollte, und wenn meine Meinung zu diesem (auf eine Art experimentellen) Werk nicht fundiert genug ist, dann sicher, weil ich es nur einmal gelesen habe. Trotzdem konnte auch ich den Roman genießen, denn der Schreibstil ist so flüssig, dass er in krassem Kontrast zu dem facettenreichen, manchmal gar komplizierten Inhalt steht. 

Man sollte beim Lesen wie im Leben auch nach Herausforderung suchen. Für viele Leser kann Wohin der Wind uns weht zu einer solchen werden. Wenn nicht, bleibt es trotzdem ein aufwühlender, hervorragender Roman. 
  Ich persönlich werde noch länger über ihn grübeln, mir mehr Klarheit über die (im Geschichtsunterricht allgemein vernachlässigte) politische Vergangenheit Portugals schaffen. Vielleicht selbst ähnliche schreiberische Experimente wagen wie der preisgekrönte Autor. 

Zusammenfassend muss verdeutlicht werden, wie außergewöhnlich diese Geschichte ist und was für einen Wiedererkennungswert ich Pedro zutraue (mein Mops heißt übrigens auch Pedro, aber das tut nichts zur Sache - wobei der auch großen Wiedererkennungswert hat!). Außerdem kann ich mir vorstellen, dass er mit weiteren Projekten sogar noch qualitativ einiges drauflegen könnte.
Wirklich lesenswert und inspirativ, wenn man einer Herausforderung nicht abgeneigt ist und nicht nur hundertprozentige Unterhaltung sucht, sondern auch einen Anreiz zum Grübeln.


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(Quelle: Suhrkamp)

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