Kammern des Schreckens

Sonntag, 28. September 2014

So viel Leben passt in eine winzige Schachtel.

 Edward St Aubyn 
Der beste Roman des Jahres




Den diesjährigen Gewinner des Elysia-Preises, der normalerweise für Literatur vergeben wird, ernennt die wohl kompetenteste Jury überhaupt. Warum nur häufen sich die Probleme? Intrigen und Skandale, Beziehungen und Bindungen, Familiengeschichten und seltsame Zufälle erschweren die Wahl. Befinden wir uns hier in der Literaturbranche oder drehen wir Hollywood-Filme?
 Jeder Autor ist überzeugt von seinem Werk, bis auf Lakshmi Badanpur, deren Kochbuch es durch ein Missverständnis auf die Longlist geschafft hat. Und wessen Werk einfach unbeachtet blieb, der hat mit noch viel größeren Schwierigkeiten zu kämpfen: dem Ego eines jeden Künstlers und dem tödlichen Strudel der romantischen Liebe.

Auf den ersten Blick kommt Der beste Roman des Jahres daher wie die mit Abstand eleganteste Schachtel Zigaretten weit und breit. Auch sein Inhalt gleicht einem der schädlichen Zylinder, nur eben, dass er im Grunde vollkommen gesundheitsneutral ist, es sei denn, man vergisst das Essen und Trinken oder gar Atmen beim Verzehr der süchtig machenden Lektüre. 

Es handelt sich hierbei um eine unterhaltsame Satire, die mit überraschenden Wendungen, realitätsnaher und glaubhafter Komik, immer aktueller Thematik und zuletzt sogar mit einer gewissen (kriminellen) Spannung aufwartet. Dem Leser drängt sich angenehmerweise eine unbändige Lust auf, zu schreiben  - so hielt auch ich selbst mitten in der nächtlichen Atmosphäre stets einen Notizblock bereit, um eventuell die Lektüre zu unterbrechen, weil mir eigene, verrückte Ideen gekommen waren. Verschiedenste Facetten des Leser- und Schreiberdaseins werden beleuchtet, teilweise liest man Texte mit den Protagonisten mit, die (bezieht sich auf Texte und Charaktere zugleich) unterschiedlicher nicht sein können - eine genüsslichere Inspiration kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. 


Beinahe paradox ist die Liebe zum Detail, die raffinierte Handwerkskunst einer wie mit der Pinzette zurecht gerückten Geschichte, wenn man deren komprimierte Form bedenkt. Angemessene Längen, aber auch beabsichtigte Dynamik hängen gänzlich von der jeweiligen Figur ab, aus deren Perspektive der Leser die Welt gerade beobachtet. In dieser Hinsicht erinnert die spezielle Schreibweise fast Koeppens Tauben im Gras, nur in einer sofort verständlichen und bescheideneren Form, jedoch auch mit dem Fokus der Handlung auf ein öffentliches Event, welches außerdem durch die Anwesenheit aller bekannten Personen ein gewisses Chaos beherbergt. Soll heißen, dass an dieser Stelle die Tendenz zur Überforderung gegeben ist.

Der Autor beschäftigt sich mit der Frage nach dem Wesen der Literatur. Ist sie nicht schlicht und ergreifend Kunst? Sind nicht alle wirklich guten Romane Kunstwerke und somit aufgrund ihrer Einzigartigkeit unvergleichbar? Vielmehr spielt scheinbar bei der Erstellung einer Longlist alles andere eine Rolle: Politik, Geld, Macht, Sex, menschliches Versagen, Missverständnisse und nach einer äquatorlangen Kette auch irgendwann, beinahe unbedeutend: der ganz und gar eigene Geschmack. 



Über dieses Werk enthusiastisch zu behaupten, es sei der beste Roman des Jahres, käme einer Beleidigung gleich, die dreister nicht ausfallen könnte. Wer solch eine Lektüre für irgendeinen Buchpreis nominieren würde, wäre entweder bodenlos frech, oder aber hätte ihre hauptsächlichen Thesen nicht annähernd verstanden. 

Ich wage jedoch zu behaupten, dass ich für mich persönlich feststellen darf, in diesem Jahr nur wenig Vergleichbares gelesen zu haben. 



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Edward St Aubyn, Jahrgang 1960, wuchs in England und Südfrankreich auf und lebt zur Zeit in London. Er ist Journalist und hat bereits mehrere Romane veröffentlicht, am bekanntesten wahrscheinlich seine Melrose-Saga, in welcher tragische und traumatisierende Erfahrungen mit der britischen upper class verarbeitet wurden. Charakteristisch für den Autor ist sein effektvoller Sarkasmus.

Der beste Roman des Jahres
erschienen am: 01.09.2014
Verlag und Bildquelle: Piper
Seiten: 256 (Hardcover)

ISBN: 978-3-492-05435-5
Preis: 16,99€ [D]


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