Kammern des Schreckens

Mittwoch, 15. Oktober 2014

Gähnen verursachender Trübsinn

François Saintonge
Dolfi und Marilyn



Wir befinden uns im Frankreich des Jahres 2060. Tycho Mercier ist - zumindest sagt er das von sich selbst - angesehener Geschichtsprofessor; in gewisser Weise tröstet ihn diese Tatsache darüber hinweg, dass seine Frau Phoebé sich von ihm getrennt hat und er allein für die Erziehung des Sohnes Bruno verantwortlich ist. Zum Glück scheint dieser ebenso wissbegierig zu sein wie sein Vater. Gerade das dunkle Kapitel deutscher Geschichte fasziniert ihn - so strahlt der Junge übers ganze Gesicht, als ihm die Ehre zuteil wird, mit einem echten Klon (dem sechsten) Adolf Hitlers Kriegsspiele auf dem Computer spielen zu dürfen.
Herrlich, oder?
Jedoch handelt es sich um einen verbotenen Klon. Oh, nein! Was machen wir nun?, fragt sich Tycho, und fragt sich. Und fragt sich. Fast ist er in der Lage, sich seine Frage zu beantworten, da taucht ein Abbild Marilyn Monroes auf, was zu weiteren Verkomplizierungen führt. Man darf sagen: der Professor ist restlos überfordert. Dies ist das Buch seiner sich stets um sich selbst drehenden Gedanken.

Ein Überraschungserfolg, der bei der deutschen Leserschaft nicht recht ankommen will. 

Dem Autor fehlt jegliches Talent des Kürzens, habe ich den Verdacht. Das ist beinahe das, was mich am meisten an diesem Roman stört. Dazu kommen die hohen Erwartungen, die der witzige Titel, die verrückte Idee und das ungewöhnliche Cover setzen.
 Spannung ist im Grunde nie vorhanden, sicherlich interessante Szenen zwar, aber auf seltsame Weise ungenutzt. Vielleicht soll hierdurch bekräftigt werden, dass Merciers Leben trist und seine Abenteuerlust stark beschränkt ist? Aber wieso schreibt man einen Roman, der die Leser absichtlich langweilt? Nein, der Unterhaltungsversuch ist eindeutig vorhanden - in Form von Adolf Hitler. Zieht ja vermutlich immer, hat nur hier nicht funktioniert, höchstens provokativ, trotzdem effektlos.

Saintonge, das Pseudonym eines angeblich bereits renommierten französischen Autors, konzentriert sich hier auf die Erschaffung eines ganz und gar nervtötenden, leicht beirrbaren und erwürgenswerten Protagonisten. Tycho Mercier steht ständig auf dem Schlauch, auch wenn der Leser bereits Schlussfolgerungen ziehen kann. Das mag ein lustiges Konzept sein, kann einen allerdings auch zur Weißglut treiben.
Man könnte meinen, dass er die instabilen Persönlichkeiten des deutschen Volkes widerspiegeln soll, die es Hitler damals erst recht möglich gemacht haben, als Idealfigur an die Macht zu gelangen. In Dolfi und Marilyn wird die Macht der geschickt manipulierten Atmosphäre thematisiert, die sogar fest verankerte Ideale umkehren kann. Das aber nur am Rande - man muss bis zum Ende durchhalten, um so weit zwischen den Zeilen lesen zu können. Dazu kommt, dass dieses Thema nicht einmal anschaulich, eher langatmig umgesetzt wird.

Kritisiert wird an der Lektüre unter anderem, dass die Zukunftsversion wenig Futuristisches an sich hätte, dem muss ich jedoch widersprechen. Es werden keine Printbücher mehr produziert, ein Teil Deutschlands ist unabhängig geworden, die durchschnittliche Lebenserwartung ist stark gestiegen, und so weiter, abgesehen vom Klonen. Nichtsdestotrotz handelt es sich um Details, die jedem hätten einfallen können, nicht wirklich originell, nicht wirklich überraschend. Insgesamt kann man sich nur sehr schwer ein Bild vom Leben außerhalb des Professorenhirns machen.
Wie sollen auch die Farben einer Landschaft für deren Schönheit sprechen, wenn einem der Kopf in einer Tüte steckt? Saintonge setzt dem Menschen ungefragt eine Tüte auf, kann man ihn dafür vielleicht anklagen?

Zusammenfassend kein überzeugendes Werk. Ideen sind reichlich vorhanden, man kann sogar einigen Tiefsinn entdecken. Es fehlt jedoch die Würze. Der Humor ist als solcher kaum erkennbar, denn das hieße ja, der Professor sei witzig, oder man könne wenigstens über ihn lachen. Zwar spielt der Autor mit Metaphern und Ironie, die Sprache wird dadurch aber nicht weniger trüb. Tatsächlich ist es eine Qual, Merciers Gedankengänge verfolgen zu müssen, man lacht nur, wenn man das Buch zum letzten Mal zuschlagen darf: vor Erleichterung. 


*  *  *
Dolfi und Marilyn
Verlag und Bildquelle: carl's books
Erscheinungsdatum: 8.09.2014
Seiten: 288 (Paperback)
ISBN: 978-3-570-58537-5
Preis: 14,99€ [D]

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